„Ein Meister der Phantasie“
Zum 75. Geburtstag von
Michael Ende
In den einschlägigen Literaturlexika wird Michael Ende meist als Kinderbuchautor geführt, der als Meister der Phantasiegeschichten gilt. Es gibt wohl kaum ein Kinderzimmer, in dem noch keine Geschichte von ihm vorgelesen wurde oder kein Kinderbuch von ihm im Regal neben Spielsachen und Kuscheltieren zu finden ist. Aber spätestens mit seinen anspruchsvollen und mehrfach preisgekrönten Romanen "Momo" und "Die unendliche Geschichte" war er auf die kindliche und jugendliche Lesergruppe allein nicht mehr festlegbar, sie machten Michael Ende weltweit bekannt und schufen ihm eine begeisterte Lesergemeinde.
Michael Ende wurde am 12. November 1929 in Garmisch-Partenkirchen
als Sohn des Malers Edgar Ende geboren. Seine
Kindheit in München verlebte er im Schatten
des Nationalsozialismus, vor allem, da sein Vater
als surrealistischer Maler geächtet wurde
und Malverbot erhielt. Trotzdem malte er heimlich
weiter, so dass der Sohn in engem Kontakt zu Künstlern
aufwuchs. Die Mutter arbeitete als Heilpraktikerin,
um die Familie zu ernähren. 1944 traf eine
Bombe die Wohnung und das Atelier, wobei ein Großteil
der Gemälde zerstört wurde. Kurz vor
Kriegsende kam für den Fünfzehnjährigen
der Musterungsbefehl und bald danach der Gestellungsbefehl,
dem sich Ende durch Fahnenflucht entzog. In der
Münchener Untergrundgruppe "Freiheitsaktion
Bayern" übernahm er kleine Aufträge.
Nach dem Krieg besuchte er in Schwabing das Gymnasium und anschließend die Münchener Schauspielschule. Bereits in den 40er Jahren schrieb Ende erste Gedichte und kleinere Erzählungen, nun textete er Sketche und Chansons fürs Kabarett, schrieb Filmkritiken für den Bayerischen Rundfunk, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Außerdem trat er als Schauspieler in der Provinz auf und führte Regie am Volkstheater München. Doch die Honorare reichten kaum, um die Wohnungsmiete zu zahlen. Die finanzielle Lage wurde immer schlimmer, außerdem trieb ihn die Auseinandersetzung mit Brecht und dessen Theaterauffassung in eine persönliche Sackgasse. Bei einem Besuch in Palermo lernte er auf dem Marktplatz einen Märchenerzähler kennen. Diese Begegnung wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis, denn in ihm entstand der Wunsch, genauso phantasiereich schreiben zu können.
Als
ihn ein Grafiker um einen Bilderbuchtext bat,
ließ er sich einfach von der Lust am Fabulieren
treiben, und nach einem Jahr war ein dickes Manuskript
entstanden: "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer".
Das war 1958. Die nächsten 18 Monate ging
das Manuskript auf Reise, von zehn Verlagen wurde
es abgewiesen. Schließlich landete es beim
Thienemann Verlag. Der Autor musste das Manuskript
jedoch noch teilen, ehe dann "Jim Knopf
und Lukas der Lokomotivführer" und
"Jim Knopf und die wilde 13"
auf den Büchermarkt kamen. 1961 wurde er
mit dem Deutschen Jugendpreis ausgezeichnet. Nun
erschien fast jedes Jahr ein neues Kinderbuch
im Thienemann bzw. Weitbrecht Verlag. Der Erfolg
brachte ihm finanzielle Unabhängigkeit, so
dass er 1971 mit seiner Frau in die Albaner Berge
südlich von Rom ziehen konnte, um hier das
Licht und eine gewisse Leichtigkeit des Lebens
zu finden. Es war aber auch eine Flucht vor der
Literaturkritik in Deutschland, die in 70er Jahren
alles Märchenhafte und Phantasievolle als
Weltflucht diffamierte.
In Italien lebte Michael Ende sehr zurückgezogen, gab selten Interviews und mied Fernsehauftritte. Dafür war es eine äußerst produktive Zeit, so entstand der traumhafte Roman "Momo" (1973), der von einem kleinen Mädchen erzählt, das mutig gegen die Welt derer steht, die den Menschen die Zeit stehlen. Das zunächst umstrittene Buch erhielt mit einer Stimme Mehrheit im Gremium den Deutschen Jugendbuchpreis. Nur langsam setzte sich das Buch durch, heute ist es inzwischen in über 20 Sprachen übersetzt. Nach beinahe dreijähriger Arbeit erschien 1979 "Die unendliche Geschichte". Mit diesem ungemein phantasiereichen Buch wurde Michael Endes Weltruhm endgültig begründet. Es handelt vom Land Phantasien, das von dem Nichts bedroht wird, das sich unaufhörlich ausbreitet und große Teile des Landes verschlingt. Bastian, ein kleiner Junge von zehn Jahren, entschließt sich, den Bewohnern Phantasiens zu Hilfe zu eilen. Regisseur Wolfgang Petersen drehte nach der Romanvorlage mit einem Budget von über 50 Millionen DM die teuerste deutsche Nachkriegsproduktion. Der Autor selbst war über die filmische Umsetzung entrüstet: "Gigantisches Melodram aus Kitsch, Kommerz, Plüsch und Plastik."
Nach dem Tod seiner Frau 1985 kehrte Michael Ende nach München zurück. Dort heiratete er vier Jahre später die Japanerin Mariko Sato, die seine Bücher ins Japanische übersetzt hatte. Am 28. August 1995 erlag er in Stuttgart nach langer Krankheit seinem Krebsleiden. Bis zu seinem Tod war Michael Ende schriftstellerisch tätig, fast im Jahrestakt erschienen Bilderbücher, Lieder und Gedichte für Kinder und 1994 veröffentlichte er im "Zettelkasten" Skizzen und Notizen aus seinem umfangreichen Archiv. Hier sprach er zum ersten Mal in einem Buch von sich und seinem Leben.
"Märchen
sind nicht eigentlich aufklärerisch",
so äußerte sich Ende einmal in einem
Interview, "aber sie haben eine ganz entscheidende,
bildende Wirkung, was innere Vorstel-lungswelten
betrifft." Ein gutes Buch öffnet
Türen!
(©
2004 Manfred Orlick)
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