Klappentext:
Moshe liebt Nana und
Nana liebt Moshe. Und sie versuchen ihr bestes und alles.
Aber das reicht nicht. Dann kommt Anjali hinzu. Anjali ist
Nanas Freundin. Sie ist sehr schön. Zuerst küssen
sich Nana und Anjali nur. Und zuerst schaut Moshe nur zu.
Irgendwann sind sie zu dritt. Eine ménage à
trois in der Tradition von Milan Kundera und Woody Allen beginnt.
Aber so einfach, wie sie sich das alles vorgestellt haben,
ist es gar nicht. Adam Thirlwell inszeniert meisterlich ein
extravagantes Rollenspiel zwischen Leser, Erzähler und
Protagonisten.
Spielerisch, verwegen und mit beeindruckender stilistischer
Eleganz verbindet er Elemente der großen Literatur des
19. und 20. Jahrhunderts.
(©
2004 S. Fischer Verlag)
Fazit:
Die Vorschusslorbeeren waren gewaltig: "Das Wunderkind
der britischen Literatur" hat "eines der witzigsten,
stilistisch elegantesten und absolut originellsten Debüts
der letzten Jahre" vorgelegt, ein "vollkommen überzeugendes
Buch", ein "Meisterwerk". Soweit die Beurteilungen
der größten englischen Zeitungen. Der literarische
Jungstar Großbritanniens heißt Adam Thirlwell
und ist 25 Jahre alt. Worum geht es in dem gefeierten Werk
"Strategie"? Es soll etwas mit Sex zu tun
haben. Na klar, was sonst, wenn alle so jubeln?
Bei
einer Theaterpremiere lernt die Architekturstudentin Nana
den Schauspieler Moshe kennen. Die beiden verlieben sich,
werden ein Paar. Von ihrer Liebe erfahren wir nicht sehr viel,
mehr von den Bemühungen, beim Sex Liebe zu finden, was
immer mehr zu einem Problem wird, da die große, schlanke,
sehr hübsche Nana "keinen sehr ausgeprägten
Sextrieb" hat und glaubt, ihren Partner sexuell zu enttäuschen.
Die beiden probieren verschiedene Stellungen und Praktiken
aus, ein erfülltes Gefühl von Liebe, Lust und Leidenschaft
- von Orgasmus bei Nana ganz zu schweigen - stellt sich nicht
ein. Da kommt Moshes bisexuelle Schauspielerkollegin Anjala
ins Spiel. Die beiden Frauen mögen sich, schmusen ein
bisschen, küssen sich. Für Nana die erste Frau.
Es geht weiter: Nana, der ja Sex nicht so viel bedeutet, die
aber an sich arbeitet, gelingt es, den erotischen Vulkan Anja
zum Orgasmus zu bringen, was sie stolz macht und ihr selbst
Befriedigung bedeutet.
Und
da Männer, wie Nana glaubt, so etwas mögen, bringt
sie Moshe dazu, gemeinsam eine Dreierbeziehung einzugehen.
Zunächst glauben alle drei, dies sei nun die optimale
Lebensform für sie: Moshe hat zwei Frauen, Anjala eine
Frau und einen Mann; nur Nana, die Initiatorin, die ja auch
einen Mann und eine Frau hat, bleibt, wie immer, mit schlechtem
Gefühl emotional außen vor, obwohl sie alles mitmacht.
Sie liebt nur Moshe, und er nur sie, doch das können
sie sich nun aus Rücksicht auf Anjala nicht mehr eingestehen.
Da Nana sieht, welches sexuelle Feuerwerk abgeht, wenn Moshe
mit Anjala zusammen ist, beschließt sie, völlig
selbstlos, sich zurückzuziehen und die beiden als Paar
allein zu lassen und wieder zu ihrem kranken Vater zu ziehen.
Das
war's. Das ist das Handlungsgerüst in knappen Sätzen,
angereichert mit ein wenig Volkshochschulpsychologie und ganz
viel detaillierten Sexbeschreibungen, die die Grenze zur Pornographie
deutlich überschreiten. Darauf ist der Autor schon sehr
stolz: Im Vergleich mit de Sade kommt er zu der Einschätzung:
"Der Marquis de Sade war ja auch kein Experte für
Sauereien. Er war zu theoretisch. Wenn es um Perversionsprosa
geht, bin ich ein besserer Autor als der Marquis de Sade."
Das
"Wunderkind der Literatur" benutzt bei seinem Debüt
meistens knappe Hauptsätze, so dass der Lesefluss unbeabsichtigt
ein wenig abgehackt wirkt. Bei den Dialogen soll Umgangssprachliches
die Lockerheit der Figuren zeigen: "Redochmimi."
(Red doch mit mir) - "Hi, nein chbin. Nein morgen. Es
ist für. Yeah definitiv. Okay cool bis dann." -
"Chab nichts gesagt. Nein, chab nichts gesagt. Nein,
nein", sagt Nana. - "Skompliziert. Zkompliziert.
Sokay."
Der
Autor ist recht belesen, und das lässt er uns wissen,
wo immer es geht, denn er weiß, daß der Plot seines
Buches allein recht banal ist: Stendhal, Dario Fo, Mao, Václav
Havel, Milan Kundera, Gramsci, Balzac, ja selbst Stalin werden
bemüht und zitiert und in das Gedankengeflecht des Autors,
nicht der Figuren, eingewoben. Überhaupt reflektiert
der Autor häufig über seine Figuren - was diesen
selbst nicht gelingt - und macht die Leser zu seinen Verbündeten.
Das soll ein toller Kunstgriff sein, wirkt aber bloß
oberlehrerhaft und arrogant und wird zum Ende hin richtig
penetrant: "Ich denke, Moshe wird euch gefallen. - Vielleicht
wisst ihr nicht, wie man den Namen ausspricht. Schön,
dann verrate ich es euch. Moshe spricht man 'Moisha' aus.
So müsst ihr den aussprechen. Seht ihr? - Ich weiß,
Nana klingt etwas streberhaft, aber ich mag sie. - Ach, Moshe.
Moshe, Moshe, Moshe. Wirst du immer so ängstlich sein?
Ich muss euch leider sagen, dass er immer so ängstlich
sein wird. - Ich wollte, dass ihr zwei Beobachtungen macht,
ehe ich zu Nana komme."
"Na
schön, ich werde ein bißchen Pornographie schreiben."
Mit seziermesserscharfer Genauigkeit und krampfhaft bemühter
Sachlichkeit werden bei den Sexszenen, wie unter Halogenlicht,
die verschiedenen Techniken der eigenen und gegenseitigen
Befriedigung beschrieben, und deshalb bleibt die Sprache häufig
in gehobenem Pennälerjargon stecken: "Moshe schnüffelte
in ihrer Ritze". - "Dann arbeitete er sich mit seinem
Zeigefinger bis zu ihrer Möse vor und schob ihn hinein.
Moshe prüfte hinterlistig, ob Nana feucht war."
Wir erfahren, dass die blonde Nana eine sehr weiße Haut
- wie ein Albino - an der Schließmuskel-"Rosette"
hat, dass bei der Stellung 69 der Mann nicht kleiner sein
darf als die Frau, was beim Fisting zu bedenken ist, und dass
Moshe "Nanas Vagina dadurch schmatzen und quatschen ließ",
dass er "wie ein Profi den Eintrittswinkel änderte,"
usw. Auch eine Pilzinfektion bei einer der Damen bleibt nicht
aus, und wir Leser dürfen ausführlichst daran teilhaben.
Wow! Es gibt Menschen, die so etwas gerne lesen. Es gibt aber
auch eine Menge, die so etwas für Diebstahl von Lebenszeit
ansehen. Es ist alles nur geil und sehr kalt.
Die Protagonisten
haben kein Eigenleben, kein Geheimnis; sie entwickeln sich
nicht, sie denken nicht, von Nanas Selbstzweifeln mal abgesehen.
Es entsteht der Eindruck, sie fungieren lediglich als Statisten
für die Beschreibungen der Sexgymnastik, damit das Buch
kein Sachbuch wird. Wo ist der eigene literarische Stil, die
Gedanken der Figuren, die prickelnde Erotik, die die Emotionen
und Phantasie des Lesers anregen?
"Strategie"
hat mit Erotik so viel zu tun, wie Verona Feldbusch mit deutscher
Grammatik. Laut Duden heißt Strategie: "genauer
Plan, der dazu dient, ein Ziel zu erreichen". An der
Tatsache, dass dieses Buch in 18 Sprachen übersetzt werden
soll, sieht man, dass die Marketing-Strategie für "Strategie"
aufgegangen ist.
"Das
Buch soll Mut machen", erfahren wir auf Seite 22. Aber
wozu? Es kommt mir alles so ein bisschen spätpubertär
vor, wie Aktfotos unter der Schulbank ansehen. "In diesem
Buch geht es nicht um Sex. Nein. Es geht um Integrität,
Anstand und Güte", schreibt der Autor auf Seite
27. Nicht auszudenken (oder vielleicht doch), was dabei herauskommt,
wenn er mal ein Buch über Sex schreiben sollte. Ich halte
das Buch für ein zynisches und kühl kalkuliertes
Produkt. "Glücklicherweise bin ich kein Pornoschriftsteller.
Ich hasse Pornographie, ich hasse deren magischen Realismus."
Zwei Seiten weiter: "Na schön, ich werde ein bisschen
Pornographie schreiben." Wer einmal richtig mit Seele
geliebt hat, wird ein solches Buch nicht schreiben. Dass der
Autor die Befindlichkeiten und das Lebensgefühl seiner
Generation, der Mitzwanziger, beschrieben haben soll, also
ein "absolut zeitgemäßes Buch", reicht
mir nicht aus. Nach der Lektüre bleibt ein großes
Fragezeichen.
Allen,
die mal ein wirklich erotisches Buch lesen möchten, sei
"Die
schlafenden Schönen" des Nobelpreisträgers
von 1968, Yasunari Kawabata (kennt leider kaum jemand), empfohlen.
(©
2004 Hartmut Faustmann für all-around-new-books.de)
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