Inhalt:
Deutsch-schwedische
Liebesgeschichte, die in einem englischen Feriencamp ihren
Anfang nimmt und im Berlin der 50er und 60er Jahre den Weg
des Protagonisten bis zum Ende bestimmt.
Sommer 1955: Studenten aus
Berlin und Hamburg begegnen sich in einem englischen Feriencamp.
Sie werden sich bis zum Ende der sechziger Jahre nicht ganz
aus den Augen verlieren. Die französische Marie wird
das Herz der Gruppe sein, das Mädchen Margareta spielt
seinen Part. Zwei Ehen bahnen sich an sowie eine lebenslängliche
Liebe.
Mit 21 fühlt man sich beschwingt und glaubt sich seinen
Anspruch auf Unbefangenheit. Martin, fünftes Semester
Altphilologie, ist unter ihnen der Romantiker, der alles weiß
und nichts versteht. An Hölderlin hat er sein Leben festgemacht,
seinen Aristoteles legt er jugendlich-freihändig aus
und handelt sich Identifikationen und Daueraufgaben ein, denen
er schwerlich gewachsen sein kann. Daß ihm die Griechen
weggestorben sind, ist noch nicht ausgestanden, und: Was hat
es damit auf sich, daß man ein Deutscher ist? Er leistet
sich mancherlei Empfindlichkeiten, starrt auf die ursprüngliche
Wunde, aus der die Krankheiten erwachsen sind, deren Symptome
das Bild noch unserer Gegenwart überflimmern. Wie überhaupt
ist es möglich zu leben? Die anderen können es?
Sie können es jedenfalls besser.
Das noch kaum gezügelte Denken springt die Gegebenheiten
mit Anlauf an: Was ist die Seinsweise eines Gedichts? Der
Musik? Was ist einem Deutschen schließlich geblieben,
nicht wahr, außer der Kultur und den Mädchen.
An der Liebe wird frischweg das Biologische gesehen - einen
Lidschlag später ereignet sich der nicht erklärbare
Zauber, das Köstlichwerden der Welt.
In Margareta sieht Martin sich seinem Heil gegenüber,
mit einer Fassungslosigkeit und Gefühlssicherheit, die
sich leicht als Besessenheit denunzieren ließe. Margareta
ist keine Griechin des fünften vorchristlichen Jahrhunderts,
sie ist nicht einmal eine Deutsche, sondern eine Schwedin
ohne Echoraum für Hölderlin und Schubert, ohne Sinn
vielleicht auch für Martin: Ist es nicht furchtbar,
daß ich dich nicht lieben kann?
Wenn das Glück sich nur den Augenblick abzwingen läßt,
die Illusion vielleicht nur, dann gilt die Illusion, der Augenblick.
Ein schlitzohriger Philosoph namens Zenon wird dringlich befragt,
ob sich an der Zeitschraube drehen ließe. Läßt
der Augenblick sich zur Ewigkeit dehnen, gelieren oder in
Bernstein fassen? Bringt man ihn als Ernte vor dem Winter
ein?
Oktober: Martin allein im grauen Berlin.
In Steglitz, Dahlem, Berlin-Mitte und Lübars springen
die Erinnerungen auf. Das Kriegsende, wie es den Elfjährigen
überwälzt. Der Tod des Vaters, der Mutter. Die Baumgardts
konnten nicht weiterleben, denen Martin die entscheidende
Lebensermutigung verdankt.
Er ist darauf verfallen, dem Nachkrieg gegenüber eine
verzweifelte Haltung einzunehmen.
Wie wirkt sich die andressierte Verneinung des nationalen
Wesenkerns, so sie denn wahrgenommen wird, im einzelnen Gemütshaushalt
aus?
Zu früh und als einziger war er auf dem Operationstisch
wachgeworden. So fühlte sich die Ausschabung der Nationalität
von innen her an. - Ich halte es einfach nicht so aus wie
ihr. -
Man konnte als Deutscher vielleicht gar nicht leben, und auch
das nur ganz verhalten, denn sie waren mit dem Selbstmitleidsvorwurf
flink bei der Hand ...
Margareta aber ist nun doch nicht aus der Welt! Nicht bloß
Leben - Glück ist möglich!
Es
ist auf Dauer vielleicht doch nicht möglich. Martin zahlt
mit einer jahrelangen Hadesexistenz. Dahlem und der Grunewald
sind zu einer Nebenwelt geworden, durch die er Tag und Nacht
zu allen Jahreszeiten wandert, Schritt vor Schritt, um irgendwann
gesunden Schlaf herbeizuzwingen.
Noch einmal begegnet er der Liebe seines Lebens. Frühlingsstürme
brausen, daß die Kronen der Kiefern die Erde fegen,
weit oben schlagen die Götter aufeinander ein, unten
aber sitzt ein Frosch beim andern Frosch: Patsch patsch, deine
schöne grüne Haut!
Zuviel des Glücks - hätten die Wandungen standgehalten?
Aus der Kindheit herauf wächst die seit je gefürchtete
Krankheit.
Und doch dieser einhüllende Trost, MARGARETA zu denken.
Das Glück, sie im Leben zu wissen. Daß sie bei
mir gewesen ist, und in mir doch ein ganzes Leben. Nun sieht
alles still und trübe aus, so war es aber nicht. Die
Welt war aufregend. Etwas Heranreißendes ging von ihr
aus, immer wieder eine Beschleunigung der Existenz.
Ihr Name, noch einmal mit dem letzten Ernst bedacht: Mar-ga-re-ta,
ewig meine Liebe, niemand war je glücklicher als ich.
(©
2003 Dieter Sachs)
Zum
Autor:
Dieter Sachs ist in Berlin geboren; dort auch Studium der
Philosophie und Klassischen Philologie. Tätigkeit als
Bibliothekar in verschiedenen Teilen Deutschlands und im Ausland.
Jetzt in Schleswig-Holstein ansässig. Verheiratet, zwei
Kinder.
Aus
der zeitgeistlichen Denkschleife heraus weisen seine Romane
in eine Welt, wo man sich nach der deutschen Dimension wie
Peter Schlemihl nach seinem Schatten verzehrt.
Textauszüge:
“Hej?
Det var underbart!”
Der
Otter spielte im Becken. Ein Schatten strömte unter der
Oberfläche, glitt um die Längsachse rollend torpedohaft
dahin - Überschlag rückwärts am Beckenrand.
In Träumen hatte man solchen Bewegungsablauf erahnt.
Nun, Welle in der Welle, beschleunigte er senkrecht schlängelnd,
und plötzlich, den glatten Bauch nach oben kehrend, durchbrach
er mit dem Kopf den Wasserspiegel wie ein Kind, das beim Versteckspiel
lachend aus der Deckung springt. Die Augen glänzten,
unter dem Lachen bebte die ernstere Lust. Er war ein Gott,
der in der Frische lebte.
Draußen im Staub des Sommertags, bei den schwitzenden
Menschen, die in der Schwerkraft wie in Sirup stapften, stand
ich und liebte den Otter.
“Hej?”
sagte sie. Ich hörte: “Wunderbar!”
Wir waren weggetaucht bis auf den Grund der Frische. Die Götter
lebten immer so. Es war jenseits des Wünschens. Ich sah
in ihr ergriffenes Gesicht. Die blanken Augen. Irgendwo in
diesen traumblauen Gefilden ereignete ich mich. Das Haar hing
ihr glatt und schimmernd in die Stirn. Eine Kastanie sprang
aus der Schale. Das gab es, das gab es für mich.
Ein Lächeln hatte sich unter die Welt geschoben, zitternd
schwebte sie darauf und wich auf einen Hauch zur Seite. Die
Ferncroft Avenue war Wald und Höhle; unter dem warmen
Frühlingssturm empfing mich das Okertal im verhüllenden
Grau. Feucht wehte es mir ins Gesicht, ein hüpfendes
Glück trieb mich voran in einen unbekannten Aggregatzustand.
Für einen Augenblick glühte die Schlucht in ganzer
Länge auf: ich leuchtete, von überall her sprühte,
glitzerte und perlte es auf mich zurück. Die Luft injizierte
ein Gefühl der Frische in die Brust, das mein Gewicht
zu verringern schien und mich mit festlichem Übermut
erfüllte. Vor mir her sprang ein Ball aus pulsendem Blut,
oben fegten riesenhafte Pferde durch die Wolken, und unaufhörlich
brauste DIE MUSIK einher, fuhr als der Frühlingsatem
selber durch die Gischt, daß jeder Zweig und alle Tropfen
schwangen.
Die Nebel teilten sich, Schwaden verdünnten sich und
schwebten flockig auf und weg. Dort im wechselnden Licht,
wo der Fluß sich heranbog, verdichtete sich das Entzücken
- IHRE ERSEHNTE GESTALT trat hervor. Leicht schritt sie über
die umströmten, überspülten Brocken. Hier ging
sie immer schon. Ernst ihr Blick in meine Augen, die Handflächen
wie Tafeln her zu mir gekehrt. Unaufhörlich und in jedem
Augenblick als Ganzes gegenwärtig setzte die Musik mir
freudig zu, die Welt war ganz erfüllt davon. Zu mir her
seit Anbeginn. Die große Ader puckerte am Hals. Die
Tafeln las ich nicht, das Lächeln überschwemmte
mich, durchtränkte mich, ich würde mich darin auflösen.
Ich breitete die Arme aus. Tief ging der Atem im Land jenseits
des Wünschens.
Sie saßen in getrennten schallschluckenden
Kabinen und hörten aus Lautsprechern fremde Stimmen ...
Da war die kurzwellige Unruhe wieder, die stufenlos intensivierbar
schien: Wenn eine dämpfende Rede ausgeredet war, übertönte
und erfüllte sie, die große Angst, mit ihrem Sirren
alles. Kompakt von Horizont zu Horizont wölbte sich die
Lebenseinsamkeit ...
Sie sahen, Hand in Hand, den Schattenspielen an der Zimmerdecke
zu. Der Augenblick war wieder nicht die Ewigkeit gewesen.
Es war Narrheit, Beschwörungsformeln gegen die Vergänglichkeit
zu murmeln; wer ihren tigerhaften Ansprung durch Ignoranz
bestand, wer das Fraßgeräusch der Zeit überhörte
- vielleicht gelang es dem, vom Augenblick die Illusion zu
retten ... Martin lag neben dem schlafenden Mädchen,
das sein Heil gewesen wäre, und fürchtete sich in
der Stille des Zimmers ... Der Tag kam aus der Dunkelheit
herangekrochen, wie Tage das so tun, wie eine Lavamasse, die
Vorderseite der Zeit. Man weiß: wo das herkommt, ist
noch viel mehr; was da leckt und seinen Stinkatem bläst,
das ist die Zukunft ...
Etwas vergifteter Schlaf hatte sich unversehens über
sie gedeckt. Nun hing das Morgengrauen im Zimmer. Sie zogen
sich aus, um zu duschen.
Versuchten noch einmal, sich zu lieben. Ohne sich anzusehen?
Die Zeit war heran.
Der Bahnhof.
Martin war am späten Nachmittag
im Camp. Der Warden wies ihm eine Baracke zu, das dritte Bett
rechts. Keine Seele zu Hause. Die grauen Decken schwiegen
ihn an. Er lag da, sah zum Wellblech hinauf. Er bedachte,
was die Eigenexistenz gewesen war, und legte, gebleicht und
kümmerlich, die Gebeine des vormargaretalichen Lebens
vor sich hin. Das Studium, die sonstige Lektüre. Der
Träume erste Handlung bei Regierungsantritt war, die
Wirklichkeit zu trüben. Die Bühne drehte sich, die
arme Wirklichkeit mit ihren Einsprengseln von Behagen verschwand,
es gab sie noch als ungute Erinnerung.
Er stand auf, um auszupacken und sich umzuziehen, hängte
Stück für Stück mit Andacht in das Spind. Er
hatte soviel Zeit wie nie. Einen Augenblick lang saß
er nackt auf dem Bett. Der Duft ihres Geschlechts hing ihm
noch an, keine simple Salzlösung wie Tränen, sondern
ein molekulares Wunder. Nun troff es ihm tatsächlich
aus den Augen, es lief am verholzten Gesicht herunter, tropfte
vom Kinn und intensivierte den Geruch. Das Wasser des Lebens,
überwältigend.
Die Spinnen hängten ihre Silberfäden in den Wind.
Es altweiberte golden weiter. Die kleinblättrigen Birken
hatten gelbes, schwarzgepunktetes Laub gestreut, Gespinste
funkelten im Gras, wo Elfen in Eile ihre Hemdchen abgeworfen
hatten, um sich mit greulichen aber potenten Trollen zu paaren
...
Nun schrieb sie also. Also doch! -
Das Licht im Zimmer reichte zum Lesen gerade noch aus. Martin
aß das Pflaumenmusbrot, das vom Frühstück
übrig war. Das Mus war ledern, darunter bröckelte
das Brot.
Er starrte vor sich hin in Richtung Fenster. Graue Luft, zögernder
Regen.
Er schlürfte den Tee. Den Brief kannte er nun auswendig.
Er war ein alter Mann, stumm und einsam hockte er am Tisch
und kaute, die Krümel hafteten an seinem Mund. Nicht
alt und unappetitlich sein, noch nicht!
Ein Mädchenlächeln, schönste Potentialität.
Willkommen in Frau Holles Reich, der Grund der Welt ist Freundlichkeit
- du darfst im Licht bleiben, hinab und aufwärts schwingt
es dich wer weiß wohin. Das Leben ist ein Sommertag,
Kinder jagen sich spritzend am Ufer. Die leuchtenden Tropfen,
die gleißenden Schöpfe der Enkel ...
Überall die Menschen hinter ihren Fenstern oder auf dem
Weg dorthin, Liebende, Familien. Die Griechen alle weggestorben,
das eigene Volk wider sich selbst gekehrt, es war schon zum
Grausen. Nun dieser Brief ...
Er schob das Geschirr beiseite und schrieb. Es war nun fast
zu dunkel, aber er knipste das Licht nicht an. Er fröstelte,
während er schrieb ...
Du fragst mich, ob ich traurig bin. Das wagst Du. Wie bisher
alles, habe ich London überlebt und die Tage und Wochen
danach. Ich hocke wie ein alter Felsen in der Landschaft,
und über meine Nase rinnt der Regen. ‘Aus!’
höre ich Dich sagen. ‘Aus deiner Nase, mein Lieber!’
Und ich lache herzlich, aber nicht darüber, sondern erwartungsfroh,
denn immer, wenn Dir solch eine kleine Bosheit gelungen war,
wurdest du vorübergehend etwas netter ...
Weißt Du, warum die Liebe so
schön ist? Weil wir so dekadent sind, darum. Die Enten
tun es für weniger; einfach weil es die Haupt- und Ehrensache
ist, tun sie es für nichts. Oder die Schwalben, die das
Nest mit den törichten Jungen umflattern. Nur wir mit
unserer Nörgelei sind Mutter Natur an den Nerv gegangen.
Ich weiß nicht weiter, hat sie zur Großmutter
gesagt. Und der Großmutter fiel nichts Besseres ein,
als uns mit dieser ungeheuerlichen Näscherei zu ködern.
Wir stehen wackelnd voreinander, vor Glück japsend ...
Was sollte ich machen, klagt Oma, sie täten es sonst
nicht! Von sich aus sind sie nichts als verquer, und das Leben
muß doch weitergehen.
Mutter Natur sagt: Jetzt tun sie es nur noch!
Ich
träumte vom Grunewaldsee. Einer dieser vorverirrten Frühlingstage,
Maiwärme mitten im März. Die Stämme noch naßschwarz
unter der Helle von oben, unter den kahlen Kronen. Margareta
kam mir den schwarzen moorigen Weg entgegen in ihrem dunkelblauen
Mantel, die Kappe auf dem glatten Haar. Sie kam von weither
und war plötzlich da. Die Beine, hellbestrumpft, rieben
sich kaum hörbar aneinander. Mein Herz ging in schweren,
verzögernden Schlägen, in einem endgültigen
Ritardando, ich brach in die Knie. Ich streichelte den rauhen
Stoff ihres Mantels mit meinem Gesicht, aber sie fühlte
mich nicht. Da stand sie aufgerichtet, ihr Gesicht war kummervoll.
Sie sah über mich hinweg auf das schwarze Wasser, die
Lebensfrau, unausschöpfbar, allwissend.
(Text:
© Dieter Sachs)
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