Klappentext:
"Glück? Darüber
spricht man nicht. Ein Wort zuviel, und es ist lächerlich.
Zwei Worte, und es ist verschwunden." Und doch handelt
dieses Buch vom Glück zweier Jungen, die während
eines milden Sommers in einem schlanken Zweier ohne Steuermann
über den Fluss rudern, der die Stadt in zwei Hälften
trennt. Auf der einen Seite wohnt Anton, der Arbeitersohn,
auf der anderen David, in einer Villa am Park. Doch wenn sie
in perfekter Harmonie über das Wasser gleiten, angefeuert
von ihrem deutschen Trainer Alfred Schneiderhahn, sind sie
zu einer geschmeidigen Einheit verschmolzen, und die Zeit
scheint stillzustehen, weil ihre Herzen im gleichen Rhythmus
schlagen.
Fünf Jahre später besucht Anton in einer dunklen
Winternacht das, was vom Gebäude des ehemaligen Ruderclubs
noch übrig ist. Die olympischen Spiele in Helsinki, für
die sie in jenem glücklichen Sommer 1939 trainierten,
haben nie stattgefunden, und mit seinem jüdischen Freund
David ist auch ein Stück von Anton selbst im Krieg verschwunden.
(©
2000 Hanser Verlag)
Fazit:
Bei einer Präsentation niederländischer Kunst vor
einiger Zeit in Berlin las der in Deutschland noch völlig
unbekannte Autor H. M. van den Brink ein paar Seiten aus seiner
inzwischen in mehrere Sprachen übersetzten Novelle ÜBER
DAS WASSER vor. Die Kostprobe machte neugierig, so dass
ich mich hinterher in die Schlange am Büchertisch einreihte.
Die Investition hat sich gelohnt. Nach zwei Abenden der Lektüre
kann ich eine kleine Entdeckung vorstellen:
Woher
seine Faszination für Wasser stammt, weiß er bis
heute nicht. Schon als Fünfjähriger ist Anton seiner
Mutter beim Spazierengehen an dem kleinen Flussstrand weggelaufen,
um mit Hose und Hemd - die Schuhe hatte er wenigstens ausgezogen
- an der flachen Stelle ins Wasser zu gehen. Wie eine unsichtbare
Macht zog es ihn in das Nass; das Schreien der Mutter konnte
ihn nicht aufhalten.
Später waren es die Ruderer, die zu viert oder zu acht
mit ihren schlanken Booten nahezu geräuschlos wie Pfeile
durchs Wasser schossen, von deren Anblick er nicht ablassen
konnte. Eines Tages stand Anton, der Arbeiterjunge von der
anderen Flussseite, dann mit seinem Vater im Clubhaus des
Rudervereins, das mit Preisen, Wimpeln und Medaillen an den
Wänden behängt war, und füllte den Aufnahmeantrag
aus. Er konnte gar nicht so richtig begreifen, was in diesem
Augenblick geschah, er glaubte zu träumen. In den nächsten
Tagen fand er sich mit sieben Gleichaltrigen von der hiesigen
Flussseite, an der die Villen standen, im Achter und versuchte,
wie allen anderen, den Anweisungen des Trainers zu folgen.
Von der eleganten Bewegung der acht im Gleichklang, die er
bei den älteren Ruderern immer so bewundert hatte, keine
Spur.
Eines
Tages brachte der Trainer den Deutschen Alfred Schneiderhahn
mit. Ohne mit den Jungs zu sprechen, zeigte der auf die Nummer
1 und 7 im Boot, also auf Anton und David, und ab sofort fanden
sich die beiden in einem Zweier ohne Steuermann. Schneiderhahn
wusste alles über das Rudern. Trotzdem sprach er wenig.
Er machte Trainingspläne für jeden Tag, erklärte
ihnen sachlich und knapp den Rhythmus, wie man startet, Kräfte
einteilt, spurtet. Und allmählich wuchsen die beiden
mit ihrem Boot zu einer Einheit zusammen. Schneiderhahn fuhr
beim Training mit dem Fahrrad am Ufer entlang. Am nächsten
Tag erhielten sie dann jeweils schriftlich die weiteren Anweisungen.
Anton und David brauchten sich nicht abzusprechen; sie befolgten
die Befehle des Trainers, jeder für sich, so als wären
sie beide eine Person. Es war für Anton die vollkommene
Harmonie. Auch in der Winterpause trainierten die beiden nach
Anleitung mit Hanteln und machten ihre Trockenübungen.
Im
nächsten Frühjahr begannen die ersten Wettbewerbe,
und die beiden wurden so erfolgreich wie kam ein Duo zuvor
im Verein. Die Anerkennung (und auch der Neid) der Kollegen
stieg. Daran musste man sich erst einmal gewöhnen. Die
anderen interessierten Anton nicht. Für ihn entstand
beim Rudern mit David das höchste Glücksgefühl,
etwas, was er noch nie vorher gespürt hatte.
Es war das Jahr 1939 und die Olympischen Spiele in Helsinki
standen bevor. Dafür trainierten sie jetzt. Doch diese
Spiele sollten nie stattfinden.
Heute, einige Jahre später, steht Anton vor den Trümmern
des eingestürzten Clubhauses. Die Boote sind weg, nur
noch die Treppe zum Steg, auf der sie unzählige Male
müde, aber mit Glück im Bauch ihr Boot getragen
haben, existiert noch zum Teil. Von seinem jüdischen
Freund und Partner David, der vor dem Krieg in der großen
Villa gelebt hat, gibt es keine Spur mehr ...
Über
das Wasser ist eine zarte, leise Novelle über das
Erwachsenwerden eines Jungen, über Ängste, Glücksgefühle
und Sehnsüchte in der Pubertät, und über einen
Selbstfindungsprozess: das Akzeptieren des eigenen Körpers,
das Akzeptieren von sich selbst.
Die
anspruchsvolle und erzählende Sprache wirkt zu Beginn
ein wenig sperrig. Am Anfang der Erinnerungen dominieren kurze
Hauptsätze, die die Sprunghaftigkeit von Erinnerungen
unterstützen, am Ende bei dem aufregenden Wettkampf erhöhen
sie die Spannung. Nach wenigen Seiten hat man sich jedoch
eingelesen. Ein tolles Buch. Auf weitere Werke des Autors
bin ich gespannt.
(©
2004 Hartmut Faustmann für all-around-new-books.de)
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