Klappentext:
Ein verstecktes Gelächter
eröffnet den neuen Roman von Wilhelm Genazino. Es gilt
einem Mann, der sich auf seine Ernsthaftigkeit immer etwas
zugute gehalten hat. Jetzt, auf einmal, löst seine Person
öffentliche Heiterkeit aus. Bestürzt untersucht
der Erzähler seine Gewohnheiten und seinen Alltag und
stellt fest, daß an seiner äußeren Erscheinung
dann und wann Momente einer Verschrobenheit aufblitzen, die
nichts weiter sind als Hinweise
darauf, daß er sich selbst näher gekommen ist, als er je beabsichtigt hatte.
(©
1998 Rowohlt
Verlag)
Buchbesprechung
- Rezension:
Vor zwei Jahren hat er seine Frau verloren, der Ich-Erzähler
in Wilhelm Genazinos kleinem Roman Die Kassiererinnen.
Der Verlust ist größer, als er selbst erfassen
kann: Er hat seine Mitte verloren, die ihn als ein normales
Mitglied der Gesellschaft auszeichnet. Warum lebt man? Warum
tut man etwas? Der Alltag ist so sinnlos, so belanglos, so
trostlos geworden. Am liebsten möchte er einfach irgendwohin
verschwinden. Natürlich verschwindet er nicht. Er hat
ja auch kein Ziel, es wäre eine Flucht, die sein Inneres
nicht verändern, heilen würde. So läuft er
durch seine Stadt und beobachtet die Menschen bei ihren gewöhnlichen
Tätigkeiten. Kann man darin einen Sinn erkennen, oder
verhalten sie sich nicht allesamt lächerlich? Und dann
passiert etwas, dass sein Problem noch verstärkt. Bei
einer belanglosen Verrichtung wird er von zwei Männern
ausgelacht. Er ist also auch lächerlich. Es ist nicht
nur sein inneres Gefühl dieses Zustands, andere sehen
es ihm von außen an.
Neben
einigen Bekannten, sie würden sich vielleicht sogar Freunde
nennen, die er regelmäßig trifft, was ihm allmählich
lästig fällt, ist da noch die junge Tänzerin
Wanda, an der ihm "ihre Fähigkeit, klaglos durch
die Welt zu gehen" am besten gefällt. Beide
wissen zunächst nicht so recht, ob und wie sie sich näherkommen
wollen und können. Er, da er im Kontakt zu Frauen ein
bisschen aus der Übung ist; sie, da ihr vielleicht diese
Erfahrung mit Männern überhaupt fehlt.
Am
Schluss kommt unser Protagonist zu der wichtigen Überzeugung,
"dass alle Menschen offen oder verdeckt am Projekt
ihrer Lächerlichkeit arbeiten" und dass "wer
lebt, sich von Zeit zu Zeit ein paar lächerliche Gedanken
machen" muss. Ja, er kann sich wieder zu ihnen zählen.
Wilhelm
Genazino gelingt mit diesem kleinen Roman eine sehr innerliche
Beobachtung eines Durchschnittsmannes gemessen an der Realität,
den Menschen, den Ereignissen einer Großstadt. Es geht
um die Sinnsuche unserer satten Luxus-Gesellschaft, in der
wir zwar keine Überlebenssorgen haben, die uns jedoch
seit einigen Jahren umtreibt und gelegentlich verzweifeln
lässt.
Die Kassiererinnen drückt das Lebensgefühl,
die Denk- und Leidensstrukturen einer bestimmten Mittelstandsszene
unserer Gesellschaft um die Jahrhundertwende aus. In einer
komprimierten, ausdrucksstarken Sprache stellt dieses kleine
Werk (und natürlich sein Autor) eine literarische Orchidee
dar, die leider bislang noch von zu viel dichtem, schnell
wachsendem Bücher-Unkraut verdeckt wird. Der 61-jährige
Wilhelm Genazino, der inzwischen ein umfangreiches Gesamtwerk
von Romanen und unzähligen Hörspielen vorgestellt
hat, ist leider noch immer nur einer kleinen, allerdings stetig
wachsenden Lesegemeinde bekannt. Hoffen wir, dass die Verleihung
des Georg-Büchner-Preises in diesem Jahr ihm die Popularität
und Anerkennung bringt, die dem Autor aufgrund seiner literarischen
Qualität gebührt. In der Gruppe dieser Preisträger
ist er in sehr guter Gesellschaft, in die er auch gehört.
(©
2004 Hartmut Faustmann für all-around-new-books.de)
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